Vom Fußball zur Musikalischen Früherziehung und dann ins Ballett – wie viel Freizeit braucht ein Kind?
Wer kennt es nicht: das Kind will sich mit einem Freund verabreden und den Eltern obliegt es nun, die Verabredung (zumindest im früheren Alter, so zwischen 3 und 7) einzutüten. Dazu muss man natürlich das Gespräch oder die Textnachricht zu anderen Eltern suchen. Die Antwort fällt nicht selten wie folgt aus: „Am Montag hat Till Fußball, am Dienstag muss er dann zur Logopädie, am Mittwoch haben wir mal nichts, da gehen wir dann endlich ins Schwimmbad, am Donnerstag ist wieder Fußball, am Freitag ist er dann mit Julius verabredet. Am Samstag können wir gar nicht, da ist Fußballturnier. Da sind wir den ganzen Tag auf dem Platz. Da muss ich ja noch einen Kuchen backen. Mein Mann macht auch Thekendienst. Am Sonntag gehen wir es dann ruhig an. Da kommen nur die Schwiegereltern und wir gehen mittags essen. Also diese Woche ist schlecht. Vielleicht übernächste?“
Unsere Kinder, und mit ihnen wir Eltern, haben Freizeitstress. Echt. Ich kenne kaum Eltern, die nicht die Termine ihrer Kinder takten und im Überblick haben. Aber muss es denn immer so vollgeknallt sein? Ich schließe mich da ja gar nicht aus.
Tanzgruppe, Kinderturnen, Musikalische Früherziehung, Schwimmen und und und. Und dann ist da ja auch noch die Tatsache, dass die Kinder bis mindestens 15 Uhr in der Betreuung sind. Oft auch länger, je nach dem, was anliegt.
Meine Kinder sind fast vier und fast sieben. Da geht man hauptberuflich in den Kindergarten bzw. in die Schule. Und man hat Freunde und man möchte verschiedene Sachen ausprobieren. Ich finde schon, dass man den Kindern – soweit es eben geht – verschiedene Dinge ermöglichen sollte. Um herauszufinden, wo die eigenen Talente liegen, um Neues zu lernen, um andere Leute kennenzulernen, um festzustellen, dass etwas vielleicht überhaupt nicht so toll ist, wie man dachte. Aber wie viel ist genug? So viel wie das Kind Lust hat? Zweimal die Woche? Dreimal die Woche? Braucht das Kind überhaupt einen freien Tag? Klar machen die Kinder all das, was sie machen, freiwillig und weil sie es wollen (außer Hausaufgaben vielleicht). Aber merken Kinder, wenn sie überfordert sind? Dazu habe ich gerade keine wissenschaftliche Studie parat. Wohl aber habe ich in einer schlauen Elternzeitschrift gelesen, dass die Fachwelt zu maximal zwei festen Aktivitäten die Woche rät und favorisiert, dass so viele Freunde zu treffen sind, wie man mag. Freies Spiel für freie Geister. Find ich eigentlich super.
Aber dann: jeden Tag eine Verabredung? Wäre das denn das Richtige? Und überhaupt, selbst wenn das Kind sich öfter verabreden möchte, stoße ich ja trotzdem auf oben beschriebenes Szenario – nur eben dann bei den anderen.
Fangen wir mal an, die Sache aufzudröseln: Zunächst wären da die Kurse, die Vereine, die Übungsstunden, die das Kind so macht. Generell bin ich der Ansicht, dass er ausreichend ist, zumindest im Alter zwischen 3 und 9, sich auf zwei Vereine zu beschränken. Dann sind in der Regel schon mal mindestens zwei Tage in der Woche belegt. Je nachdem, was man so macht, können es auch insgesamt drei Termine werden, weil vielleicht eine Sportart ausgeübt wird, in der zweimal die Woche trainiert wird. Dann kommt ja noch die Tatsache dazu, dass das Geschwisterkind oder auch die Geschwisterkinder auch noch Vereine haben. Das Elterntaxi muss ausgeklügelt koordiniert sein, damit nicht das jeweils andere Kind vor den Übungsstunden der Geschwister (gemeinsam mit dem Elternteil im Übrigen) warten muss. Das gelingt nicht immer. So. Der Terminkalender ist also trotzdem meist recht voll. Selbst wenn man sich beschränkt. Da wären ja zusätzlich noch Arzttermine, eigene Termine, zu denen die Kinder vielleicht mitkommen müssen, weil sonst keine Betreuung da ist oder es einfach zum Leben dazu gehört – ganz banales Einkaufen beispielsweise. Wenn das dann alles organisiert ist, stellt sich noch die Frage, ob die jeweiligen Freunde genau an den Tagen, an denen dann das Kind Zeit hätte, nicht vielleicht selbst Freizeitstress haben.
Um nun auf das Thema Langeweile zurückzukommen, beobachte ich, dass Eltern ihre Kinder dauernd Aktivitäten anbieten, wenn mal keine vorhanden sind. Wenn kein Freund Zeit hat und vielleicht der eine Tag ist, an dem kein Training ist, dann kommt der „Wir haben nichts vor“-Modus, der sich dann in Schwimmbad, Kino, Vorlese-Programm, gemeinsamen Spielen von Gesellschaftspielen äußert. Das alles ist super. Ganz klar. Aber nicht dauernd. Die Tendenz ist tatsächlich die, dass man, sobald mal ein freier Tag durchblitzt, dazu neigt, sich eine Knaller- Aktivität auszudenken, die den Kindern Freude machen soll. Man will ja auch gut sein, so als Eltern. Spaß sollen die Kinder haben. Sich bloß nicht langweilen. Aber was passiert denn da eigentlich?
Sobald das Kind sagt, ihm sei langweilig, beginnt die Maschinerie zu laufen. Und da finde ich, sollten wir Eltern uns mal in Zurückhaltung üben. Gönnt den Kindern doch ihre Langeweile! Nur dann können sie lernen, uns auch unsere zu gönnen. Aber vor allem können sie lernen, dass in ihnen selbst ein Schatz an Fantasie und Ideenreichtum schlummert, der ein bisschen Raum braucht, um sich zu entfalten. Die guten alten Musestunden müssen wieder Einkehr halten! Muse haben, für die Dinge des Lebens, die einen dann beschäftigen, wenn man Zeit hat und sich mal überlegen kann, wozu man gerade eigentlich selbst Lust hat. Ohne es von außen vorgegeben zu bekommen. Klar ist es schön, gemeinsam etwas zu unternehmen. Das sollte auf gar keinen Fall eingestellt werden. Doch nicht andauernd. Wir Eltern sollten uns mal entspannen. Das tun wir ohnehin viel zu selten. Dann ist halt mal nix. Ich finde, dass ich nicht verantwortlich dafür sein sollte, dass mein Kind beschäftigt ist. Es muss lernen, sich selbst zu beschäftigen. Und ich halte es auch für die Entwicklung eines Kindes für unabdingbar, mit Langeweile klarzukommen und nur sich selbst dagegen zu setzen. Selbst ist das Kind. Die Gedanken können fließen, es ist mal Zeit, nichts Bestimmtes zu tun, sondern sich Dinge auszudenken, auf Ideen zu kommen. Vielleicht ist auch mal Blödsinn dabei, aber hey – das passiert mir auch, wenn ich nachdenke.
Ich merke deutlich, dass am Wochenende die Luft raus ist. Bei allen. Und deshalb gibt es bei uns den Lazy-Saturday. Mein Mann arbeitet meist samstags und die Mädels und ich sind dann so bis mindestens Mittags noch im Schlafanzug. Ich, weil ich alles mache, was so an Hausarbeit liegen geblieben ist, die Woche über, und die Mädchen, weil sie einfach mal nix vorhaben und in den Tag hineinleben. Die beiden langweilen sich auch. Und was passiert dann? Nichts. Rein gar nichts. Sie giften sich gegenseitig an, um dann den Streit ohne mich auch wieder beizulegen und anschließend in ihre Welt abzutauchen. Entweder erfinden sie gemeinsam neue Welten oder überlegen sich jeder für sich, was man mit der Zeit und sich selbst so anfangen könnte: Puzzeln, Malen, Lesen, CDs hören. Und das alles, ohne dass ich irgendwie nötig wäre. Außer vielleicht, um Essen zu servieren und irgendwann dann doch den Vorschlag einzubringen, dass Waschen ganz schön wäre …
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