Plädoyer für eine geruhsame Weihnachtszeit
Weihnachtszeit. Seit Wochen schon wird hinter der Zeit hergehechelt, Dinge müssen besorgt werden, ca. zwölf Weihnachtsfeiern sind zu absolvieren, verschiedene geruhsame Events wollen aufgesucht werden und dann muss auch noch das geschäftsmäßige Innehalten aufgrund der vorgegebenen Besinnlichkeitswelle seinen Platz haben. Ach ja, und nebenbei möchte man ja auch noch eine gute Mutter sein und den Kindern eine wunderbare und erinnerbare Weihnachtszeit bescheren. Hört sich nervig an, oder? Finde ich auch. Und dennoch hört man es überall aus den Tannenspitzen: Alle sind gestresst und genervt, weil so viel ansteht, die Geschenke besorgt werden wollen, die Familienfeiern organisiert und terminlich koordiniert werden müssen. Doch muss das alles so? Will man das so? Wie steht es mit den eigenen Ansprüchen?
Was wollen wir eigentlich wirklich?
Im Unterschied zu den Gedanken, mit denen wir uns selbst unter Druck setzen. Also die Erwartungen, die niemals ein Kind an uns formuliert hat, sondern von denen wir aus irgendwelchen Gründen annehmen, dass wir sie erfüllen müssen. Wir setzen uns mal wieder selbst unter Druck in einem Anflug von Perfektionismus.
Ich fange mal mit den Kindern an: Eventuell ist es gar nicht so wichtig, alles mitzunehmen, was an Angeboten da ist. Vielleicht müssen wir auch einfach mal wirklich in uns reinhören und überlegen, was in dieser Zeit notwendig ist – und was wir nur tun, weil es jemand von uns erwartet oder weil wir DENKEN, dass es jemand von uns erwartet.
Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Um nicht kryptisch zu bleiben, hier ein Beispiel: Von meiner Arbeit war dieser Tage ein gemeinsames Essengehen als Weihnachtsnettigkeit angesetzt. Deswegen bin ich am Nachmittag gar nicht erst nach Hause gekommen, sondern direkt in der Stadt geblieben. Der Ehemann war für Kinder und Termine verantwortlich. An diesem Tag sollte im Kindergarten der in unserem Dorf jährlich auflebende „Lebendige Adventskalender“ (Familien und Institutionen des Dorfes laden alle ein, die Lust haben und kümmern sich um eine kurze weihnachtliche Darbietung wie gemeinsames Singen, kurzes Geschichtenvorlesen oder einen Riesenpott Glühwein für alle; an jedem Dezembertag bis Weihnachten ist jemand anderes dran) stattfinden. Ich beschwor meinen Mann, der momentan beruflich sehr eingespannt ist, diesen Event zu besuchen. Ella hatte nämlich hocherfreut zuvor die Einladung mitgebracht und geschwärmt, wie gerne sie dort hinwolle.
Mein Gewissen war schon sehr zerfressen, dass ich nun das Kind nicht zu dieser sozialen Zusammenkunft begleiten konnte. Wie immer war auch dieser Nachmittag ganz unweihnachtlich genau eingetaktet – also nach dem Ende der Arbeitszeit: Kinder von der Betreuung abholen und zum wochentagspezifischen Sport-Whatever-Angebot transportieren. Als ich des Abends von meinem Ausflug zurückkam und den Mann befragte, ob er denn da gewesen sei, antwortete dieser nur: „Nö. Wir haben es uns hier gemütlich gemacht, Späße gemacht, zusammen Abendbrot gegessen und ein bisschen Mau-Mau gespielt.“ An dieser Stelle wollte mir erst die Hutschnur platzen, weil mein Mann, der alte Verräter (!), die Kinder von der Besinnlichkeit abgehalten hat! Nur weil es ihm zu stressig war. Geht ja gar nicht. Und dann, plötzlich fällt mir auf: Der Mann hat recht. Einfach mal einen Gang rausnehmen und wirklich mal einen auf Gemütlichkeit machen. Und die Kinder? Hat sich keiner beschwert. Alles supi.
Besinnliche Weihnachtszeit?
Muss denn nun also wirklich jede Weihnachtsfeier besucht werden? Muss ich denn wirklich drei Plätzchensorten auf einmal backen, die auch noch ganz toll auf Instagram mit Lichtfilter gepostet auf meine DIY-Seite kommen, damit ich eine gute Mutter bin? Oder reicht es vielleicht einfach, mit den Kindern gemeinsam die Butterplätzchen zum Ausstechen zu machen, ihren Eifer und ihre Freude zu beobachten und die ganze Sache dann im Anschluss gemeinsam zu mampfen? Oder eben gemütlich zu Hause Mau-Mau zu spielen? Ja, das reicht. Aber dahin muss man erst mal kommen. Keine Vergleiche ziehen, im Sinne von: Die anderen waren aber da, haben aber schon dreimal Plätzchen gebacken oder viermal Weihnachtsdeko mit den Kindern gebastelt. Mir doch wurscht.
Eindrücke, die bleiben.
Ich persönlich kann mich ehrlich gesagt an wenige Weihnachtsfeiern aus meiner Kindheit erinnern. Dafür kann ich mich an den Geruch des selbstgebackenen Gewürzkuchens erinnern und an die Freude und das wohlige Gefühl, denselbigen samstagnachmittags frisch aus dem Ofen essen zu dürfen. Ich erinnere mich an die Geschichten aus Weihnachtsbüchern, die meine Mama uns vorgelesen hat und an den Schnee, dem ich zugeschaut habe, wie er langsam auf die Erde gerieselt ist. Alles ganz kitschig, aber ich glaube, wir haben einen so hohen Anspruch an die Imagination und die Atmosphäre, die wir kreieren möchten, dass wir einfach vergessen, dass es manchmal gar nicht so viel braucht, um die Kinder glücklich zu machen und uns selbst zu entschleunigen. Mut zur Lücke also. Dann klappt es eben nicht mit den Instagram-Bildern, dafür hat man Spaß mit den Kids.
Dann ist da noch die Familie
Auch hier scheint die weihnachtliche Zusammenkunft von allerlei Erwartungen und lange einstudierten Ritualen geprägt zu sein. Niemand soll zu kurz kommen, Geschenke sind oft ein Muss. Doch auch an der Stelle plädiere ich für eine Emanzipation von einem „Das-war-schon-immer-so“. Wenn es stresst und nur noch als Pflichtveranstaltung wahrgenommen wird, muss doch ein liebevolles: „Wir möchten es mal anders machen“ drin sein, oder? Vielleicht mal Schrott-Wichteln statt ätzende „Es-wird-ein-Geschenk-erwartet“-Geschenke? Oder jeder sorgt für einen Gang beim Weihnachtsessen, anstatt Mutti sich wie gehabt dort einsam abrackern zu lassen? Vielleicht sind auch ein gemeinsames Schnippeln und Kochen ein schönes Familien-Event. Wie auch immer, wieso sich und andere stressende Traditionen aufrecht halten – die Möglichkeiten sind doch mannigfaltig. Also Mutige vor: ändert Eingefahrenes!
Weihnachten und die Geschenke
Und zuletzt noch was furchtbar Pragmatisches: Meine Weihnachtsgeschenke habe ich schon alle eingekauft und verpackt. Ich schreibe mir immer über das Jahr auf, was gewünscht wird, bringe Ende Oktober einen Riesen-Spielwarenkatalog mit und lasse die Kinder einen Wunschzettel ans Christkind schreiben bzw. kleben. Der wird dann im November eingesackt…, äh, ans Christkind verschickt – und ich kann schön alles Anfang Dezember rechtzeitig besorgen.
Und weil ich übers Jahr einen Wunschzettel führe – zugegeben, beim Online-Riesen – kann sich dort jeder, der was sucht, bedienen … und ich muss mein Hirn weder an Geburtstagen noch zur Weihnachtszeit übermäßig auswringen, um mich an die vielen Kinder-Wünsche zu erinnern. Und um mich dem Stress, den es bedeutet, unbedingt passende Geschenke für Weihnachten zu finden, habe ich mit Familie und Mann ehrliche Übereinkünfte, gegenseitig bitte keine Weihnachtsgeschenke zu überreichen, sondern sich einfach an der gemeinsamen Zeit und einem gemeinsamen Essen zu erfreuen. Damit lässt es sich doch leben, oder?
Euch allen eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit. Lasst Euch nicht stressen.
Eure Jule
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