Rollenfindung ist ein schwieriges und schwer durchschaubares Geschäft. Im Wesentlichen stehen sich „Biogläubige“, die meinen, alles sei in den Genen vorgegeben, den „Prägegläubigen“ gegenüber, die meinen, alles sei formbar und eine Frage der kritischen Erziehung. Erstere machen es sich besonders leicht, letztere besonders schwer. Aber, hier geht es ja um Rollenfindung: Wenn wir schon die Welt nicht aus den Fängen von Bob, dem Baumeister, oder Lillifee befreien können – wie schaffe ich es, dass mein Kind halbwegs normale Rollenvorbilder für sich findet? Gar nicht so einfach, wenn die Industrie Kinder nicht als Menschen versteht, sondern in zwei Konsumentenwelten teilt, eine blau (Bob), die andere rosa (Lillifee).
Was ich damit nicht meine, sind normale Phasen wie Hello-Kitty- oder Feuerwehrmann-Sam-Phasen. Das geht vorüber, alles nicht so wild, letztlich Äußerlichkeiten. Doch was ist mit den Rosa-Blau-Schemata, die man nicht nur an- und wieder auszieht, mit den Rollenzuschreibungen? Mama backt tolle Muffins, Papa baut eine super Wildschweinfalle? Vielleicht hat indes die Mama nur ihr Holzfällerinnentalent noch nicht entdeckt und Papa, das kleine Süßmaul, würde endlich mal gern eine Zitronentarte backen. Ach, wenn man beide nur ließe …
Grundsätzlich sind Kinder ja für alles zu begeistern, man muss es nur anbieten. Bei meinen beiden Töchtern (knapp 8 und knapp 5 Jahre alt) ist Zimmer aufräumen natürlich großer Mist, aber den Familienkombi nach der letzten Urlaubsfahrt auf Vordermann bringen? Super! Innenraum feucht aus- und trocken nachwischen, Fußmatten ausklopfen, den halben bretonischen Strand aus Polstern und Ritzen saugen. Zwischendurch können sich die Kinder abwechselnd Verfolgungsjagden am Lenkrad liefern – kein schlechter Einstand, zumal mit den geborgten Sonnenbrillen!
Weiter geht’s mit Reifenwechsel im Oktober und um Ostern herum. Nachdem die Gentleman-Ära nur noch an Fossilen ablesbar ist, bin ich der festen Überzeugung, dass Männer nicht nur ordentlich Kochen und Wäsche waschen können müssen, sondern Frauen auch im Wesentlichen wissen sollten, wie der Ölstand gemessen und gegebenenfalls korrigiert wird oder Autoräder gewechselt werden. Denn es wird der Tag kommen, da du zum Flieger willst und deine Karre einen Platten hat!
Also, Wagenheber und Werkzeug raus, los geht’s! Die Kleine malt mit Kreide die Reifen an, die Große ächzt mit dem Drehkreuz, dann andersherum. Gar nicht so schwer, oder? Zumindest guckt der Nachbar, der auch zwei Mädels hat, vielleicht jeweils zwei Jahre älter, schon ganz neidisch. Ich denke, in fünf Jahren schaue ich mir meine Töchter an, wie sie mir die Reifen wechseln, während ich Espresso trinkend zuschaue.
Die Möglichkeit zur Rollenauswahl steigt mit dem Grad der Selbstständigkeit, aber auch mit den Anforderungen. Seit ich sechs Jahre alt war, bin ich allein in den ca. 200 Meter entfernten Supermarkt geflitzt, habe Milch, Toast, Brot und für Papa eine Flasche Bier gekauft – damals ging das noch einfach so, die Kassiererin kannte mich, an strafbares Verhalten wollte niemand denken. Dann wurde ich sieben Jahre alt und meine Mutter fuhr über sechs lange Wochen zur Kur. Mein Vater war ständig am Arbeiten, meine frühpubertäre Schwester hing im Wesentlichen am Konservatorium rum. Wer machte die Wäsche? Ich schaute mich um. Außer mir war da niemand, und während meine Freunde unten im Hof lärmten, tat ich das, was mir meine Mutter vorher gezeigt hatte: helle – dunkle – Kochwäsche. Die Maschine war nicht mal ein Halbautomat, man musste das heiße, klitschnasse Zeug in der Wanne spülen und dann in die Schleuder hieven, bevor man es endlich aufhängen konnte – was für ein Akt! Im Nachhinein denke ich: gelernt ist gelernt. Wieso sollten heute Kinder keine Waschmaschine bedienen und Wäsche aufhängen können? Haben wir Eltern Angst vor Falten in den T-Shirts?
Ebenso wie Mädchen am Autokrams Spaß haben, kann man Jungs vermeintlich „weibliche“ Tätigkeiten nahebringen. Unser Nachbar hat sich zuerst Hühner, dann noch Ziegen angeschafft. Sein sehr netter und recht wilder Sohn Justus hat sich gut einspannen lassen, zuerst für Zaun- und Stallbau, dann aber auch für die Tierpflege. Mittlerweile sieht er schon von weitem, wenn Ziege Helga mal wieder Koliken hat. Ob Justus auch gern kocht? Ich glaube nicht, muss allerdings dazu sagen, dass seine Eltern es auch nicht gern tun. Wo also der Hase im Pfeffer liegt.
Üblicherweise fangen alle Probleme im Kopf an und überkommene Geschlechterzuschreibungen haben die Eltern vor allem sich selbst zu verdanken. Mädels an die Werkzeugkoffer, Jungs in die Puppenstube? Unbedingt. Versicherungsstatistiken zeigen längst, dass Frauen Autos sicherer bewegen als Männer – und Männer wertvolle Bezugspersonen in Kindergarten und Schule sind. Wenn wir uns also gegenseitig alle Befähigungen zutrauen, gewinnen alle. Also Männer, ran an die Kochtöpfe – und Frauen, stürmt die Ingenieursstellen!
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