Vor zwei Wochen haben meine achtjährige Tochter und ich ein tolles Vater-Kind-Wochenende verlebt. Im Nachhinein wundert es mich, dass es solche Angebote nicht viel häufiger gibt! Meine Frau hatte mein Kind und mich zu einem Wochenende mit Geo-Caching, Floßbau, Floßfahrt auf der Lahn, Lagerfeuer und Übernachtung in restaurierten Zirkuswägen angemeldet – passte alles wie die Faust aufs Auge. Meine Große ist nicht nur gern draußen und liebt Camping, schnitzen und schwimmen, sie hat auch ein wagemutiges Potenzial, das wiederum schon ganz gut in Einklang mit einer gewissen Folgenabschätzung steht. Das nennt man Reife und ich bin da ganz stolz auf sie; es wäre aber auch nicht schlimm, wenn sie mal daneben packen würde – gehört ja auch zum Lernen mit dazu.
Schon das Packen bereitete mir altem Camper Vergnügen: Schlafsäcke, Isomatten, Stirnlampen, Taschenmesser, Erste-Hilfe-Set für unterwegs – alles noch da und funktionierte bestens. Am nächsten Morgen ein tränenerstickter Schmatzer von Mama Jule, letzte Ermahnungen, ja, auch an mich: „Und denk’ dran: niemals dies und das…“ – es war ein bisschen wie im Film.
Aber anstatt zu berichten, wie nun alles war, (schön war’s!) möchte ich ergründen, weshalb alles so wahnsinnig entspannt war, es weder quengelnde Kinder noch ermahnende oder genervte Väter gab. Die bei Kindergeburtstagen gewonnene Erkenntnis, dass neun wilde Sprösslinge schnell zu einer „kritischen Masse“ gereichen, kam hier nicht zum Tragen. Stattdessen lief alles harmonisch und entspannt, jeder konnte ausgiebig seinen Dingen nachgehen; kein Streit, kein Gemecker, von keiner Seite. Meine These: Wären Mütter dabei gewesen, wäre dies nicht so verlaufen – zu unterschiedlich sind väterliche und mütterliche Erziehungsstile, wie ich sie auch in unserer Familie beobachte. Und ich habe Erklärungen dafür.
Da alles bereits im Vorfeld gepackt, geplant und eingekauft war, musste niemand noch schnell dieses oder jenes erledigen, sondern alle waren exakt im Hier und Jetzt – das sind gute Voraussetzungen für ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Zunächst lag es am Alter der Kinder, denn Sieben- bis Zehnjährige sind deutlich vernunftbegabter als beispielsweise Vierjährige. Man kann keine Vierjährigen allein am Flusswehr spielen lassen; achtjährige Schwimmer in Begleitung von Gleichaltrigen in Hörweite der Erwachsenen hingegen schon. Die Kinder konnten im Wasser herumalbern, während die Papas chillten und Feuer machten. Es gab auch keine gefährliche Straße in der Gegend; der nächste Anlaufpunkt war immer das Camp mit seinen entspannten Vätern und bunten Zirkuswägen – das sind die äußeren Bedingungen der geglückten gemeinsamen Freizeit.
Wichtiger sind jedoch die inneren Faktoren, und dazu beobachte ich, dass Väter anders erziehen, sich anders um ihre Kinder kümmern. Mein Eindruck ist, dass Mütter Ungemach und Gefahren gern raushalten möchten, den Nachwuchs am liebsten um alle Probleme herumlotsen. Väter hingegen nehmen Probleme oder dosierte Gefahren eher in Kauf. Meine Frau Jule kann es schwer ertragen, wenn ich mit der fünfjährigen Emma auf ihrem Fahrrad wackelnd auf den Straßen durchs Dorf fahre. Ich halte ihr den Verkehr vom Hals, die Autos müssen halt mal kurz warten, dann winken alle fröhlich und gut ist es. Ebenso der Umgang mit Messern, Feuer etc. Ich bin nicht der Auffassung, dass man mit diesen Dingen leichtfertig umgehen sollte – aber gut kennenlernen muss man sie schon. Da hilft es doch, wenn Papa in Reichweite sitzt, wenn der Junior sich eine Fackel baut und im Lagerfeuer entzündet.
Väter lassen es eher mal ein bisschen laufen und schauen, was sich so ergibt – die meisten wilden Klettereien enden ohnehin harmlos und falls doch eingegriffen werden muss, kein Problem, man ist ja da. Bei Müttern hingegen habe ich häufig den Eindruck, es werden Aktionen unterbunden, und zwar je eher desto besser und die diejenige, die als letztes laut „Nein“ über den Spielplatz ruft, ist die Rabenmutter, die – wohlmöglich noch berufstätig! – ihre Kids nicht recht im Griff hat. Da kommt es schnell zu einem Überbietungswettbewerb, wer die vermeintlich scharfsinnigste Mama ist, die normale Entwicklungen als Gefahren deklariert und somit unterbindet. Dabei kennen Kinder ihre Grenzen beim Klettern, Toben und Radfahren ganz gut. Und falls nicht – Schmerz ist auch ein Lernmodus und man weiß, was man beim nächsten Mal besser doch lässt. Das heißt jetzt nicht, echten Gefahren blauäugig zu begegnen, sondern eben nur echte Gefahren als solche zu betrachten. Wer Lappalien dramatisiert, kann von seinem Kind nicht erwarten, richtig zu reagieren, wenn es wirklich eng wird.
Doch zurück zum Vater-Kind-Wochenend-Camp: Die Lehre, die wir mit in Alltag nehmen konnten, ist weniger zu meckern und zurechtzuweisen und mehr Zutrauen in die Problemlösungsfähigkeiten unserer Kinder generell zu haben. Turbulenter Straßenverkehr, plötzlich hat man sich verlaufen oder jemand kippt um und das Kind muss Hilfe organisieren: Verzwickte Situationen zu lösen, werden eher nicht Kinder aus dem in Hinsicht auf Selbständigkeit dysfunktionalen Familien-„Kokon“ schaffen. Der Schlüssel liegt also im frühen, d.h. altersadäquaten „Auswildern“ – für mehr Freiheit und Spaß in der Kindheit und ein sichereres Gefühl aller beim ersten London-Trip des Sprösslings.
Es bedeutet aber auch, dass es Väter braucht, die nicht nur physisch anwesend, sondern auch aktiv in der Erziehung tätig sind und sich die eigenen, wilderen Maßstäbe nicht madig machen lassen. Beim Camping ist es nicht so wichtig, ob der Lieblingspulli ein bisschen schmutzig ist. Wichtig ist, dass der Lieblingspulli draußen wärmt und einem ein gutes Gefühl gibt. Also Männer und Väter: Seid wilder habt den Mut, dafür auch Akzeptanz von der Partnerin einzufordern. Und, liebe Mütter, macht ihr euch nicht soviel Gedanken. Auch Mädchen müssen ihre wilden Seiten entdecken und ausleben können, also habt mehr Zutrauen: Der Papa macht das nämlich schon.