Wenn man Kinder hat, werden urplötzlich ganz normale Dinge zu Problemen: Ökoschuhe oder Billigtreter, Zottelhaar oder Flechtzopf, Schulmedizin oder Homöopathie. (Die Lösung liegt wie immer im und, nicht im oder!) Es laufen tiefe, tiefe Gräben durch die Elternschaft, manchmal auch quer durch Paare. Einer der tiefsten Gräben offenbart sich stets beim Gespräch über Essen. Was man früher (als Paar oder Single) einfach gemacht hat, wird nun zu einer Vorbildfunktion mit lebenslang prägenden Einflüssen stilisiert. Als hätten wir es direkt jetzt in der Hand, ob aus unserem Jungen ein an Magersucht erkrankter Teenager würde, während die Tochter sich nur von WLAN und Billig-Burgern ernährte? Wohl kaum. Was ist zu tun? Keine Ahnung. Vermutlich tun sich Eltern einen Gefallen, das Essensthema generell nicht so hoch zu hängen.
Essen als Labsal und sozialer Kitt
Jule und ich, wir essen beide gern gut. Der Kitzel der freudig juckenden Geschmacksknospen sind ein nicht kleinzuredendes Hochgefühl, das unbedingt zu einem gelingenden Wochenende mit dazu gehört. Provencalische Lammkeule und mein ausgezeichnetes Gratin dauphinois waren seinerzeit nicht ganz unerheblich für ein intensiveres Kennenlernen der beiden Personen, die heute Kinder miteinander haben. Den gemeinsamen Genuss nur zu zweit haben wir beibehalten; ab und zu schicken wir die Kinder übers Wochenende zu den Großeltern, kochen unsere Lieblingsessen und zaubern schöne Weine dazu ins Glas. Wunderbar!
Wir finden, gerade in schwierigen Zeiten – und Familie mit kleinen Kindern durchleben genau diese – brauchen die Akteure handfeste kulinarische Belohnungen, damit die Mannschaft glücklich an Bord bleibt. Motto: Wenngleich vieles ins Wackeln gerät, wirf einen Blick in den Bräter und schau, ob es nicht doch noch ein guter Tag werden könnte! Oder schau, ob die leckeren Tomaten, Feta und Pasta nicht eine gute Symbiose eingehen könnten, vielleicht ist noch frischer Rosmarin da. Läuft doch, oder?!
Leben Sie Kritik in der Warenwelt vor
Nur weil ich Kinder habe, ist plötzlich alles – aber auch wirklich alles – angeblich mit einer anstrengenden Vorbildfunktion ausgestattet. Bedeutete Erziehung einmal, das Kind nach dem Popo-Abwischen und Naseputzen zu einer eigenständigen moralischen Person heranreifen zu lassen, so geht es heute vor allem offenbar darum, Menschen heranzuziehen, die möglichst nicht anecken, von klein auf an die richtigen Konsumentscheidungen treffen und das Jurastudium möglichst ein Semester unterhalb der Regelstudienzeit mit Bestnote schaffen (okay, erraten, zumindest beim letzten Punkt habe ich übertrieben).
Dass teure Autos und repräsentative Häuser nicht langfristig glücklich machen, ist eine einfache Erkenntnis der Erforschung menschlicher Zufriedenheit und öffnet die Tür zu einer Kritik der Warenwelt und letztlich auch der Essenswelt. Wie viel Aufwand ist nötig und wichtig, um eine Esserin oder einen Esser glücklich zu machen?
Kinder sortieren da viel rigoroser aus, weniger philosophisch, aber da Philosophieren in Kindern schon mal angelegt ist („Papa, warum legen Hühner Eier?“), verdient die Frage Beachtung und Beantwortung im Sinne der eigenen Praxis.
Zum Beispiel bin ich kein großer Fan von Wochenmärkten. Haben sie auf, bin ich auf Arbeit. Wie viele andere Menschen auch erledige ich meine Einkäufe zu etwa gleichen Teilen im Discounter und Supermarkt, habe allerdings auch meinen Käsehändler, den ich alle zwei Wochen besuche und mit dicken Beuteln heimkehre. Ich wohne in Mitteldeutschland, Fisch ist hier etwas für angehende Lottokönige und weder Jule noch die Kinder mögen ihn; also kaufe ich ihn nicht. Aber die Kinder lieben meinen Käsehändler und probieren bei ihm die wildesten Stinker! Sie wissen: Papa isst nicht ständig Käse, aber wenn, dann muss die Qualität auch stimmen.
Das Gleiche gilt für Gurken, Tomaten, Kartoffeln etc.: Probieren Sie mit Ihren Kindern blasse Gurken (bitter), blasse Tomaten (schmecken bekanntlich nach nichts) und so weiter. Seien Sie wählerisch, zeigen Sie Ihren Kindern, dass es gescheite Zutaten braucht, um leckere Kochergebnisse zu erzielen. Erklären Sie, warum Sie dieses welke Gemüse lieber nicht kaufen, sondern eher beim Rezept umdisponieren. Dies alles lässt sich im Übrigen auch ohne erzieherischen Impetus, sondern nebenbei erledigen, während des Einkaufs. Motto: nicht antreten, sondern mitmachen lassen.
Besuch im Kuhstall
Unser Milchbauer im Dorf wohnt in Sichtweite und die Eier bekommen wir von Nachbars fleißigen Hennen. Auf halbem Weg hat der Metzger seinen Laden, und ich habe den Eindruck, die Menschen dort wissen in vielen Dingen sehr genau, was sie tun. Sie alle sind echte Handwerker, leisten gute Arbeit und machen nicht viel Gewese darum. Vielleicht, weil es ihre Eltern auch nicht anders getan haben? Ich weiß es nicht. Aber ich besuche gern mit den Kindern den Milchbauern und seine Kälbchen, hole die frischen Eier von nebenan und lausche den knarzigen Worten des Senior-Metzgers.
Mein Tipp: Arbeiten Sie wacker gegen Entfremdung! Ihr iPhone wurde in China zusammengeschraubt, da lohnt es sich doch, hier die Produktionskette übersichtlich zu halten. Hühner sind neugierige und amüsante Wesen, Ziegen gewitzter als so mancher Hund (und dabei viel nützlicher). Fragen Sie mal einen Bauern, ob Sie zu Besuch kommen können, wachsen Sie mit Ihrem Essen ein wenig zusammen. Wenn Sie zweimal im Jahr Lust auf richtig tolles Lammfleisch haben, können Sie eine Patenschaft für ein fiktives oder auch echtes Lamm übernehmen. Ziehen Sie auf dem Balkon Tomaten, legen Sie sich einen Obstpflücker zu, so ein Netz am Stiel zum Abernten gemeinfreier Obstbäume. Das macht Spaß und stellt einen Gegenpol dar zur polierten Konsumwelt, in der die Dinge häufig nach viel ausschauen und wenig schmecken.
Ständig hört man von Kindern, die mit üblen Allergien zu kämpfen haben – mitunter Resultat einer sauberkeitsfixierten Umwelt. Ein Besuch im Kuh- oder Pferdestall pro Woche gibt die richtige Dosis an ungefährlichen Keimen, die das Immunsystem braucht, um stark zu werden und echte Gefahren bekämpfen zu können. Was nicht heißt, dass die Hände nicht trotzdem vor dem Essen gewaschen werden müssten! Und auch mir als Papa bereitet der Umgang mit Tieren Vergnügen; eine Reminiszenz an eigene Kindertage.
Aufbruch in eine neue Essenswelt
Doch kommen wir zurück zum Thema Essen: Ich hatte es hier bereits erwähnt: In meinen Augen ist jemand, der nicht imstande ist, aus einfachen, guten Zutaten ein schmackhaftes Essen zuzubereiten, ein kultureller Banause. Mit „Kultur“ meine ich jedoch nicht den halbjährlichen Museumsbesuch, sondern lebensgrundierende Fertigkeiten, wie es auch Wäsche waschen, Auto fahren, Zugfahrpläne verstehen sind, ganz normale Alltagsdinge also. Und wenn Sie mit Ihren Kindern heute durchspielen, wie jämmerlich einfach es ist, ein frisches Pesto für sechs hungrige Esser zu fabrizieren, müssen Sie der zukünftigen Studentin keine großen Euroscheine hinterherschicken, weil der Monat mal wieder deutlich länger war als das Geld.
Bestimmt erlebt die Tiefkühlpizza bedeutende Augenblicke: späte Heimkehr nach der Dienstreise, Zugbistro geschlossen, Kohldampf. Aber wie oft kommt das wirklich vor? Wir wissen alle, dass der Nähr- und kulinarische Stellenwert dieser Produkte doch arg begrenzt ist – lassen Sie den Mist nicht mit sich und ihren Kindern machen. Essen Sie gut und vergegenwärtigen Sie sich und Ihren Kindern, dass dies auch einiges an Arbeit bedeutet – aber es ist eine schöne, gemeinsame Arbeit. Nobilitieren Sie den Aufwand mit schönem Besteck und Servietten; die Kinder haben ein feines Gespür für diese Besonderheiten, und auch Ihnen tut der herausgehobene Moment gut. Dazu eine gute Flasche Wein? Unbedingt! Und für die Kinder Traubensaft („Kinderwein“) aus Weingläsern – soviel Spaß muss sein.
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