Attachment Parenting, die 7 Bs – und warum ich im Badezimmer weinen musste
„Na, wie erziehst du deine Kinder?“ wurde ich neulich gefragt. Was ich auf die Frage antworten würde, klären wir später. Viel interessanter finde ich jedoch die Frage als solche. Warum interessiert es andere Eltern, wie ich meine Kinder erziehe? Warum wollen andere Eltern über meine Erziehungsweise urteilen? Ist es nicht ganz allein meine Sache?
Ich weiß noch, wie meine Schwester mir erzählte, dass während ihres Auslandssemesters amerikanische Schüler*innen ihrer Klasse bei schlechtem Benehmen von ihren Eltern körperlich bestraft wurden – und die Gesellschaft das einfach so hinnahm. Teilweise wurde ja sogar gesagt, „dass gute Eltern das nun mal so machen“! Das darf auf gar keinen Fall sein! Deshalb finde ich es mehr als gut, dass das Thema Elternschaft und „Parenting Skills“ nun immer mehr in den Vordergrund rückt und auch heiß diskutiert wird. Was mich an den Rand des Wahnsinns treibt, ist jedoch das ständige Rechtfertigen, die dauerhafte Kritik, die einen im Alltag begegnet. Was ich meine? Lies ruhig weiter …
Was ist Attachment Parenting?
„Was, du hast schon nach 5 Wochen abgestillt? Ich könnte ja nicht so egoistisch sein …!“ Attachment Parenting bedeutet, dass Eltern dazu angehalten sind, eine starke Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Dabei richten sie sich ganz stark nach den Bedürfnissen ihres Nachwuchses. Von genau so einer „Attachment-Parenting-Mama“ musste ich mir also diese indirekten und direkten Vorwürfen beim gemeinsamen Spaziergang 2015 anhören. Ja, ich musste in der Tat auch erst einmal schlucken. Hatte sie mich das wirklich gerade gefragt? Hatte sie mir Egoismus unterstellt? Sollte ich ins Detail gehen und ihr meine wunden Brüste unter die Nase halten? Sollte ich ihr zeigen, dass ich seit Tagen nichts Warmes gegessen habe, um die Zeit zu zweit mit meinem Großen zu verbringen, damit er nicht das Gefühl bekommt, vernachlässigt zu werden? Das Schlimmste ist jedoch, dass ich mich ja eigentlich so entscheiden und argumentieren kann wie ich möchte – und mir letztlich ihre Meinung egal sein sollte. Sie aber pflanzt Selbstzweifel in meinen Kopf … und die begleiten mich dann nach Hause – dorthin, wo es mir abends dann plötzlich ganz schlecht geht.
Das heimliche Weinen im Badezimmer
Attachment Parenting heißt also, dass ich mein Kind bloß nicht zwei Mal rufen lasse, schreien sowieso gar nicht. Ich soll ein Familienbett ins Schlafzimmer stellen und mir jahrelang Beine in den Rücken und Arme in die Rippen bohren lassen. Am liebsten ist es dem Begründer der Methode, Dr. William Sears, auch, dass man sein Kind stets von A nach B trägt – anstatt es mit dem Kinderwagen zu befördern. Je mehr Körpernähe, desto intensiver die Bindung zwischen Kind und Elternteil. So die Theorie.
Zurück zur Aussage „Ich könnte ja nicht so egoistisch sein …!“ … Während dieser Satz noch in meinem Kopf nachhallt, wirft plötzlich Kind 1 seine Schüssel mit Grießbrei um und bekleckert den gesamten Boden – während die kleine Maus ihre Milch wieder ausspuckt und komplett über sich und ihren Body verteilt. Und ich höre nur noch Satzfetzen wie „du bist eine schlechte Mutter“, „du bist egoistisch!“, „du hast das ja anscheinend nicht wirklich im Griff“. Solche Sätze tun dann so doll weh, dass ich mich abends oft im Badezimmer versteckt und heimlich bei laufendem Wasser geweint habe.
Was ist nun wichtiger: dein oder mein Bedürfnis?
Irgendwann kommt die Erkenntnis: Ich werde es den Müttern in meiner Umgebung niemals recht machen können – und das möchte ich auch gar nicht. In erster Linie möchte ich mit meinen Kindern einen gesunden und nachhaltigen, liebevollen und transparenten Umgang pflegen. Ich finde Teile des Attachment Parentings sicherlich sinnvoll, alle Bereiche aber schlichtweg „too much“. Jedes Familienmitglied hat Bedürfnisse und alle Bedürfnisse sollten bestmöglich erfüllt werden. Manchmal gibt es Momente, in denen die Gewichtung der Bedürfnisse eine Rolle spielt und man vielleicht sogar priorisieren muss: Ist es nun wichtiger, nochmal mit der Familie spazieren zu gehen – oder hat der Spielplatzbesuch der Kids Prio 1? Darf ich mir eine kurze Atempause gönnen … oder muss der Grießbrei sofort aufgewischt werden?
Heute – 2021 – kann ich ganz klar sagen: Welches Bedürfnis nun wichtiger ist, entscheide weder ich noch tun dies die Kinder – wir finden einen Konsens und versuchen, alle Bedürfnisse, alle Optionen zu vereinen.
Was sind die „7 Bs“?
Laut Dr. Sears und seiner Frau Martha, die gemeinsam acht Kinder haben, baut die Attachment Parenting Methodik auf die sogenannten „7 Bs“ auf: Das sind sieben Verhaltensweisen, die die Bedürfnisse und Signale von Säuglingen definieren und im Englischen jeweils mit einem „B“ beginnen. So nennt Dr. Sears beispielsweise das Reagieren auf die Bedürfnisse und Gefühle des Kindes „Babyreading“. (Falls du dich in die Thematik der 7 Bs weiter vertiefen magst: Ich habe sie hier nochmal aufgelistet.)
Spielzeiten für die ganze Familie
Wir sitzen gemeinsam zu dritt (und an den Wochenenden dann auch zu viert) im Spielzimmer und verbringen dort dann sogenannte Quality Time zusammen. Dabei kommt immer mindestens eines der „7 Bs“ zum Einsatz: Die Balance, also die Ausgeglichenheit zwischen den Bedürfnissen der Eltern und der Kinder.
Dabei lehne ich oft an einem unserer Sitzpolster FRITZI und beobachte das Geschehen, bis ich eingeteilt werde. Ich bekomme die Rolle einer Mutterfigur – wie treffend. Dabei muss ich immer wieder feststellen, wie kindgerecht und wunderschön unser Spielzimmer ist. Ich schau auf unser OSCAR Lowboard, welches von beiden Seiten eifrig bespielt wird. Die Kinder hocken links und rechts auf dem Boden und spielen energisch mit ihren Figuren … und ich lehne mich ans Polster an und parke einen Arm darauf. Manchmal muss ich aber auch den Platz räumen, wenn die Figuren einen Ausflug in die Berge machen. Der Berg ist das FRITZI-Polster. 🙂
Allein die Tatsache, dass ich das weiß, dass ich gefragt werde, ob ich ein Teil ihrer Spielwelt sein möchte – das ist schon mehr Attachment Parenting, als ich mir in der Theorie hätte vorstellen können.
Zusammen mit ihnen ein Geschwisterzimmer zu planen, umzusetzen und ihre Wünsche zu berücksichtigen, das ist für mich Attachment Parenting. Mit ihnen abends Rituale wie das Dankbarkeits- oder Vorleseritual umzusetzen, das ist Attachment Parenting.
Du bist eine tolle Mutter
Ich ignoriere die Vorwürfe, ich höre auf mein Bauchgefühl. Zusammen mit meinen Kindern definieren wir Attachment Parenting neu, sodass es für uns als Familie Sinn macht. Ohne Streit, ohne Strafen, ohne Belohnungen, ohne Stress, aber mit ganz viel Liebe, Mitgefühl, Zusammenhalt und Quality Time.
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